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  • AutorenbildJulia Gauly

Habe ich eine Essstörung? Welche Anzeichen sind bedenklich?

Kurz vorneweg: ich bin natürlich keine ausgebildete Psychologin oder Psychiaterin und der Verlauf und die Anzeichen einer Essstörung können sich natürlich ganz individuell und unterschiedlich ausdrücken. Im folgenden Text geht es nur um meine persönlichen Erfahrungen und Gedanken.


"Ich denke schon oft über Essen nach." - "Nach meiner letzten Diät war es schwer wieder mit dem normalen Essen anzufangen." - "Um als Model zu arbeiten, müsste ich noch deutlich abnehmen." - "Ich vergleiche mich wirklich oft mit anderen Frauen." Das sind alles Aussagen, denen wahrscheinlich viele Frauen in Ihrem Alltag begegnen oder Gedanken, die man vielleicht selbst schon hatte. Doch wo fängt die Essstörung an? Ab wann sind solche Gedanken nicht "normal", sondern gefährlich? In den nächsten Abschnitten habe ich einige solcher Gedanken oder auch Verhaltensmuster festgehalten, die für mich persönlich im Nachhinein betrachtet deutliche Anzeichen für die Krankheit waren.


"Ein bisschen geht noch"

Dieser Gedanke war eines der ersten und eines der tiefgreifensten Anzeichen. Von Anfang an hat sich dieser Gedanken eingeprägt und war bis zum Ende präsent. Egal wie viel ich abgenommen hatte, egal wie dünn ich auch war - ich dachte immer, dass ich noch wenigstens ein bisschen abnehmen könnte. Es wurde quasi zu einem unendlichen "Nicht-Zufrieden-Sein-Können".


"Das schmeckt mir einfach nicht"

"Früher hast du Camembert doch gerne gegessen?" - "Ja, aber mittlerweile schmeckt mir das einfach nicht mehr, mein Geschmack hat sich verändert."

Sehr viele Lebensmittel kamen auf meine "Schwarze-Liste". Je nach Kalorien, Zuckergehalt, Fettanteil kamen da über einen gewissen Zeitraum so einige Lebensmittel zusammen. Natürlich kann sich der Geschmack einfach mal verändern. Aber wenn aus ein, zwei Dingen, die man aktuell nicht so gerne isst, 5, 10 oder noch mehr Produkte werden und es sich bei diesen um kalorienreiche, fettige oder zuckerhaltige Lebensmittel handelt, könnte das definitiv ein Anzeichen dafür sein, dass es mittlerweile eine Liste mit verbotenen Lebensmittel gibt. So war es auf jeden Fall bei mir.


Überforderung bei spontanen Snacks

Oh nein - jemand im Büro hat Geburtstag. Es gibt Kuchen. Jemand kommt zu deinem Tisch und stellt dir ein Stück Kuchen hin. Der war nicht eingeplant. Wie kommt man aus dieser Situation nur raus? Zu Beginn meiner Essstörung, hätte mich das schon ziemlich gestört und überfordert. Ich hätte ihn aber aus Höflichkeit gegessen. Dann hätte eben das Mittagessen weggelassen. In der weiter vorangeschrittenen Phase meiner Krankheit wäre mir die Höflichkeit in so einem Fall ziemlich egal gewesen. Ich hätte eine Ausrede gefunden, warum ich den Kuchen nicht essen könne. Zur Not hätte ich ihn eingepackt, "um ihn später zu essen". Was in meinen Fall bedeutet hätte: verschenken oder entsorgen. Die Überforderung, die in solchen Situation schnell einsetzte, blieb oftmals auch nicht unbemerkt bei meinen Mitmenschen.


"Ich hab mein eigenes Essen mitgebracht."

Grillen bei Freunden? Ja klar kein Problem. Ich bringe einen grünen Salat mit, von dem ich dann ausschließlich esse. "Willst du auch ein bisschen von meinem Kartoffelsalat, den ich gemacht hab?" - "Nein danke, mir reicht mein grüner Salat."

"Wir bestellen morgen Pizza in der Mittagspause. Magst du auch was?" - "Nein danke, wir kochen heute Abend, da nehm ich morgen Reste von mit."

Immer die Kontrolle behalten zu wollen ist ebenfalls ein Anzeichen, dass sich im Verlauf immer mehr verstärkt hat. Es fiel mir immer schwerer anderen mit zu überlassen was ich esse oder überhaupt zu zulassen, dass ich andere auch nur ein Stück weit einmischen in meine Ernährung. Die Kontrolle war auch sehr ausgeprägt was Portionsgrößen anging. Sobald es die Möglichkeit gab, dass ich die Größe meiner Portion selber bestimmen konnte tat ich das auch. Ich konnte nicht loslassen und meine Mama, meine Schwester oder meinen Freund bitten mir auch "einen Teller zu machen". Das musste ich immer selbst in der Hand haben.


Sport-/Bewegungsdrang

Dieser Drang kam bei mir relativ schnell dazu und wurde über die Zeit immer auffälliger. Ich hatte einen Schritt-Tracker und ohne meine 15.000-20.000 Schritte am Tag konnte ich nicht schlafen gehen. Entweder eine Session im Fitnessstudio, auf dem Stepper oder zu Fuß den Wocheneinkauf machen. Zur Not auch einfach nur drei mal um den Block laufen. Hauptsache ich erreichte mein Schrittziel und damit mein gewünschtes Kaloriendefizit. Ein gutes Zeichen für mich heute ist, dass ich gar nicht mehr weiß wie hoch das Kaloriendefizit war, dass ich erreichen wollte oder musste. Es freut mich, dass mein Kopf diese Info heute gelöscht hat :) Generell kann ein auffälliger Bewegungs- oder Sportdrang ein Symptom einer Essstörung sein.


Unehrlichkeit gegenüber der Familie oder Freunden

"Ich hab schon gegessen." - wie oft habe ich das behauptet, um mich vor einer Mahlzeit zu drücken. Eine Situation ist mir dabei extrem im Kopf geblieben. Ein Freund fragte mich direkt nachdem ich behauptet hätte, bereits gegessen zu haben: "Was hast du denn genau gegessen?" Ich war nicht auf die Frage vorbereitet, da meine Freunde das Spiel meistens mitspielten und es so hinnahmen, dass ich darauf bestand schon gegessen zu haben. An diesem Tag hatte mein Freund keine Lust mit zu spielen und erwischte mich eiskalt. Ich druckste herum, vorauf er mich vorwurfsvoll fragte: "Wieso bist du nicht einfach ehrlich?" Wir schwiegen beide. Es war mir so extrem unangenehm. Genau solche Ausreden und Unehrlichkeiten sind extreme Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmt. Als dieses Verhalten bei mir anfing, steckte ich schon ziemlich tief drin.


Die Waage darf immer nur weniger Gewicht anzeigen als den Tag zuvor

Der maximale Kompromiss war hier: Gleichstand zu gestern. Das gleiche Gewicht konnte ich mir immer noch gerade so verzeihen. Aber auf keinen Fall eine Zunahme. Da ratterte es sofort in meinem Kopf: wie komm ich da wieder weiter runter? Was habe ich falsch gemacht? War es der Joghurt gestern? Hatte ich mich zu wenig bewegt. Ich hatte Phasen da habe ich mich jeden Tag gewogen und dann hatte ich Phasen, da habe ich mich monatelang nicht gewogen. Vermeiden und Kontrolle. Das waren die beiden Extreme.

Heute steige ich auf die Waage und lasse mich überraschen. Ich wiege mich ab und zu, wenn ich mal daran denke. Oh ein halbes Kilo mehr? Oh ein halbes Kilo weniger? Gewicht schwankt. Das weiß ich heute. Man kann an einem Tag Döner, Pommes und Süßigkeiten essen und hat am nächsten Tag abgenommen. Und andersrum kann man an einem Tag Salat essen und auf Süßes verzichten und hat zugenommen. Das Körpergewicht wird von so viel mehr Faktoren beeinflusst als nur Essen und Bewegung.



Das sind natürlich nur einige Anzeichen, die mir jetzt im Nachhinein als meine Essstörungsmuster bekannt sind. Wie bereits eingangs erwähnt, können die Anzeichen bei jedem total unterschiedlich ausfallen. Es können auch einzelne Punkte auf Menschen zutreffen, die keine Essstörung haben. Dennoch sind viele dieser Gedanken bedenklich und können auf lange Frist in einer Abwärtsspirale enden. Sollte man sich in vielen Punkten wiederfinden, ist es wichtig offen mit anderen darüber zu sprechen. Auch wenn ich jetzt schon lange auf einem wirklich guten Weg bin kann ich mich noch extrem in meine damalige Lage hineinversetzen und ich weiß, dass ich die Anzeichen zwar wahrgenommen habe, aber mir nicht eingestanden habe für was sie eigentlich stehen. Wenn eure Gedanken extrem um Mahlzeiten, Kaloriendefizite, Körperwahrnehmung und das Vergleichen mit anderen kreisen - redet darüber und holt euch Hilfe... denn diese Krankheit ist tückisch und keiner sollte damit allein sein müssen.





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